Da kochen Emotionen hoch

Heute mal etwas Nostalgisch-melancholisches aus dem Leben des T. Kalt:

Ich war letzten Samstag bei meinem !!!15-jährigen!!! Maturajubiläum. Klassentreffen. Sprich: Gealterte Menschen treffen sich, klatschen Bilder von ihrem Haus, ihrem Auto, ihren Kindern, ihren Yachten, ihren Zwetschgenbäumen und womit sie sonst noch angeben wollen auf den Tisch, jeder kotzt ein gezwungenes „WOW! Toll!“ rauf um daraufhin mit seinen „Erfolgen“ zu prahlen… NEIN! Das war’s nicht, überhaupt nicht…

Ich war an diesem Tag scheiße nervös. Ich hatte diese Menschen seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Ich tigerte durch die Wohnung, vom Bad ins Schlafzimmer, in die Küche, ins Büro, ins Bad, in den Kleiderschrank, ins Büro, auf den Balkon, ins Bad… „Was zieh‘ ich an? Was mach ich mit diesem Teil meines Körpers, der sich Gesicht schimpft? Was werden die anderen denken?“ 20 Zigaretten, 15 Haartrimmerminuten und 16 wohnungsgewanderte Kilometer später dann die Eingebung: „Was tust du da?! Du verstellst dich sonst nicht, warum jetzt auf einmal?!“ Kurze Hose rausgerissen, T-Shirt dazu, Flip Flops an, fertig… Erleichterung! „Wenn die anderen vorgeben wollen, was zu sein, was sie nicht sind, soll das okay sein. Trink was, iss was, bring die Pflichtkür hinter dich, verabschiede dich freundlich, danke für die Organisation und warte auf die nächsten 15 Jahre…

Ab ins Auto, perfekter Tag um nicht perfekt anzukommen (36 Grad). Velden war voll (Überraschung), Parkplätze auch… Ich dackle also vom Billa Richtung Korso, schweißnass, ich sehe mich etwas panisch um, ob ich jemanden von meinen Ehemaligen erspähen kann. Die meisten würde ich wiedererkennen, man sieht sich ja auf Facebook… Wie wird’s sein? Haben wir über die Jahre diese logische Distanz zueinander aufgebaut oder wird’s wie Früher?

Exkurs „Früher“ *tränendrüsentraurige Musik an*: Ich kann mit Fug und Recht behaupten, wir waren die geilste Klasse, die es jemals gab. Es gab keine Grüppchen, es gab nur ein gemeinsames Wir. Wir teilten alles miteinander. Essen, Trinken, Sorgen, den Partner, Speichel… Moment, das geht zu weit… Kurz gesagt, wir waren eine Familie, eine ultracoole, liebevolle, sich gegenseitig bis aufs Blut sekkierende und großartige Familie. Am Ende unserer Schulzeit schworen wir uns, immer in Kontakt zu bleiben, uns regelmäßig zu sehen und die Familie aufrecht zu halten… Wieder NEIN… leider… Der Kontakt brach schneller ab, als das Hungergefühl nach einem Burger des großen M’s wieder kommt… Ich litt darunter… Sehr… Meine „schöne“ Schulzeit begann mit dieser Klasse. Mein Coming-Out, meine erste große Liebe, der Beginn meiner Entwicklung zu dem Typen, der ich heute bin fand in den Reihen dieser Menschen statt. Ich war so unglaublich dankbar, dass ich Teil dieser Gruppe sein durfte, dass ich sein durfte, wie ich war, ohne angezweifelt, angeprangert oder ausgeschlossen zu werden. Schmalzabschluss: Ich war zum ersten Mal wirklich glücklich! *tränendrüsentraurige Musik aus*

Ich sehe sie… Nicht viele, 5 um genau zu sein. Mehr haben sich nicht gefunden, an diesem Ereignis teilzunehmen (schade). Ich watschle auf die Gruppe zu… „Ihr alten Säcke!“ schrei ich ihnen entgegen. Dann! Überraschte Gesichter… Von mir und von den anderen… Die Leute, die mir gegenüberstehen, haben sich optisch quasi null verändert… Ein Fältchen hier, ein paar Kilo weniger da… aber sonst, wie früher… Außer ich… Haare vom Kopf woanders hingezogen, 15 Kilo mehr und einen fetten Pickel zwischen den Augen… Ich fall’ der ersten um den Hals, schweißgebadete Körper schmiegen sich aneinander… Dann… der Erste aus dem Trio-Homoinfernale (Wir waren 5 Jungs in der Klasse, 3 davon einander sehr zugetan…) Es wird gebusselt… Und da steht er… der Typ, dem ich die erste große Narbe auf dem Herzen verdanke… Ich drück ihn… fest… Vollkommen unbeabsichtigt wandert mein Mund zu seinem… Bussi drauf… Es ist einfach nur schön… Kein Leid mehr, keine schrecklich schmalzigen Liebesgefühle, es tut einfach nur gut, ihn wieder zu sehen, zu sehen, dass es ihm gut geht… (wobei na ja…) Die anderen werden ebenfalls liebevoll begrüßt, alle quatschen durcheinander, sind komplett durch den Wind, freuen sich.

Der restliche Abend verläuft unglaublich… Statt permanent zu erzählen, wie großartig alles läuft (und bei den meisten läuft es gut), werden die schweren Zeiten dargeboten, Dinge erzählt, die jeder lieber vergessen würde, Trauriges, Schweres. Wir hören einander zu, geben unseren Senf dazu ab… Nach den Dramen werden alte Fotos angesehen, in Erinnerungen geschwelgt, Episoden aus den “alten Tagen” zum Besten gegeben. Ich sehe diese Menschen an, höre ihnen zu (JA! Ich kann zuhören, während ich permanent die Klappe offen habe…) und genieße dieses Gefühl, dass sich immer mehr Gehör in meinem Körper verschafft: „Absolutes Glück“. Ich tauche ein in diesen Rausch, er trägt mich durch die restliche Nacht, die im Nachhinein ein zu frühes Ende fand…

Conclusio: Wir mögen älter geworden sein, wir mögen schöner geworden sein, aber der Kern unserer Beziehung ist unverändert da. Stark, vertraut und offen. Und ich bin dankbar… Dankbar für diese wenigen Stunden, in denen ich wieder spürte, wie unglaublich GROSS dieses Gefühl damals war… Und ich bin wehmütig, wehmütig ob des Wissens, dass ich wieder lange warten muss, dieses Gefühl wieder zu erleben… Oder vielleicht auch nicht…